Ausreißer

  1. Hintergrundinformation

    Auch in Deutschland gibt es Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Eltern, sondern auf der Straße wohnen. Man schätzt die Zahl der jungen Obdachlosen in der Bundesrepublik auf 7 000 bis 50 000. Wenn ihr euch für Fakten zu diesem Thema interessiert, könnt ihr auf folgenden Internetseiten mehr erfahren: http://www.inx.de/~karuna/stiftungtest.htm

     

  2. Text

    Die Straßenkids vertrugen sich

    Mit zwölf Jahren bin ich von zu Hause abgehauen. Ich schloss mich einer Gruppe von Punks an und zusammen fuhren wir von einer Stadt zur anderen. Der Alkohol war der ständige Begleiter der Leute, die schon seit längerem auf der Straße lebten. In den Nächten schliefen wir in Schlafsäcken, die wir manchmal sogar im Winter teilen mussten. Fast jeder hatte einen Hund. Er war der einzige richtige Freund, obwohl wir auch sonst gut zusammenhielten.

    Tagsüber zog ich mit meinem und noch drei bis vier anderen Hunden los, um Geld zu schnorren. Dann habe ich erst einmal die Tiere gefüttert. Die restlichen Spenden brachte ich den anderen, die noch am Schlafplatz warteten. Ich erinnere mich noch gut, wie wir immer alles teilten, doch an einem Tag konnten wir nur den Frühstückssaft bezahlen und mein Magen blieb leer.

    Ich verabschiedete mich und sagte, dass ich wieder betteln ginge, aber dieses Mal ging ich in eine andere Richtung, und kurze Zeit später saß ich auch schon im Zug. (...)

    Als ich endlich in einer großen, fremden Stadt angekommen war, war ich zunächst recht hoffnungslos, doch die Gleichgesinnten, die ich dort traf, nahmen mich sofort auf. (...) Zum Leben hatten wir nur unsere Klamotten am Körper, unsere Träume und einen Schlafsack. (...) Oft wurden wir als asoziales Pack bezeichnet, das alles klaut, was ihm gefällt. Aber das stimmte gar nicht, da wir im Prinzip schon eine Arbeit hatten, denn auch das Schnorren war harte Arbeit. Ich konnte zwar alles tun und lassen, was ich wollte, doch die Abhängigkeit vom Geld beschnitt irgendwann diese Freiheit.

    Heute lebe ich in einer Wohngemeinschaft, die von der Jugendhilfe unterstützt wird, und die mir helfen soll, mich an den gesellschaftlichen Alltag anzupassen.

    Miriam Gutowski
    Jugendhilfezentrum St. Ansgar
    Klasse 9 D/E
    © "General-Anzeiger", Bonn, 7. Mai 1999

     

  3. Vokabelerläuterungen

    die Straßenkids (meist nur Pl.): Jugendliche, die ohne festen Wohnsitz auf der Straße leben.

    sich vertragen: sich nicht streiten

    von zu Hause abhauen (Umgangssprache): von zu Hause weglaufen

    sich jemandem anschließen: mit jemandem mitgehen

    der Punk (-s): junge Menschen, die gegen die (bürgerliche) Gesellschaft protestieren und ihren Protest durch einen wilden Haarschnitt, grelle Kleidung und Musik zeigen

    ein ständiger Begleiter: eine Person / Sache, die immer dabei ist

    losziehen: losgehen

    schnorren (Umgangssprache): betteln

    jemanden füttern: jemandem Essen geben

    die Spende (-n): Geld, das man beim Betteln erhält

    etwas teilen: vom eigenen Besitz den anderen auch etwas geben

    der Magen (Mägen): inneres Organ, das Essen verarbeitet

    fremd: unbekannt und neu

    hoffnungslos: ohne Hoffnung, ohne Glauben, dass es besser wird

    der Gleichgesinnte (-n): Person mit ähnlichen Ideen, Zielen, Vorstellungen

    jemanden aufnehmen: sich um jemanden kümmern, jemandem helfen

    die Klamotten (meist nur Pl.) (Umgangssprache): die Kleidung

    asoziales Pack: sehr negative und unfreundliche Bezeichnung für Leute, die nicht in das soziale Bild passen

    klauen: stehlen

    etwas tun und lassen, was man will: alles machen können, was man möchte

    die Abhängigkeit (-en): Man ist abhängig, wenn man ohne eine Sache nicht leben kann.

    beschneiden (hier): begrenzen

    die Wohngemeinschaft (-en): mehrere Personen, die sich einen Haushalt teilen

    die Jugendhilfe (nur Sing.): staatliche oder kirchliche Institutionen, die sich um Jugendliche in Not kümmern

    der gesellschaftliche Alltag: das tägliche Leben, das innerhalb einer Gesellschaft als normal angesehen wird

    sich anpassen: sich an etwas gewöhnen

     

  4. Fragen zu Textinhalt und Problematik

    Übung 1

    Was glaubst du, ...

    ... warum ist Miriam von zu Hause weggelaufen?

    ... was hat Miriam wohl zu den Leuten gesagt, damit sie ihr Geld geben?

    ..., welche Träume hat Miriam in ihrer Zeit auf der Straße gehabt?




    Übung 2

    Sammelt mit einem Partner / einer Partnerin Vokabeln und Redewendungen, die zum Thema "Straßenkids" gehören und schreibt diese danach an die Tafel / auf eine Folie. Wie heißen sie in eurer Muttersprache?

    Lösung


    Übung 3

    Welche Aspekte des Lebens auf der Straße sind eher negativ dargestellt? Gibt es auch positive Aspekte?

    positive Aspekte negative Aspekte

    Lösung

     

  5. Weiterführende Übungen

    Übung 1

    Den Text über jugendliche Obdachlose, aus dem wir folgenden Ausschnitt gekürzt und verändert haben, findest du unter http://www.kaestnerpro.de/dddvdt/dddvdt1.htm.

    Wenn du ihn lesen willst, musst du zuerst die Wortgrenzen finden. Achte auf die Kommasetzung und auf die Groß- und Kleinschreibung.

    Vielejugendlichesindmitihremelternhausnichtzufriedenundlaufendeshalbvonzuhauseweg. (...) ManchebleibenvieleTageverschwunden.Sielebenaufderstraßeundmüssenihrlebenselbstbestreiten. Oftrutschendiejugendlichendabeiab. Sieklaueningeschäftenundüberfallenpassanten. Beidenmädchenistesmanchmalsogarsodasssiesichamnächstengroßenba
    hnhofoderananderenortenalsprostituierteanbieten. Daspassiertöfteringroßenstädtenwieberlinduisburgundhamburg. Diejugendlichennehmenschnelldrogenundkommensoimmertieferindiesenkreisausdrogenkri
    minalitätundprostitution. Ohnefremdehilfefindensiemeistensnichtwiederheraus. (...) Wenndiejugendlichengarnichtnachhausewollenkommensieoftineinewohngemeinschaftoderinsheim.

    Lösung


    Übung 2

    Relativsätze sind Nebensätze, die eine Person oder eine Sache genauer erklären. Im Text findest du einige davon. Wie viele sind es genau und auf welche Wörter beziehen sie sich?

    Lösung


    Übung 3

    Versuche selbst, die folgenden Begriffe mit einem Relativsatz zu erklären. Die Wörter in den Klammern sollen dir dabei helfen.

    Was ist ein Ausreißer?


    (Kind / von zu Hause / weglaufen)

    Was sind Gleichgesinnte?


    (Menschen / haben / ähnliche Ideen / Ansichten / und)

    Was ist ein Bettler?


    (Mensch / Leute / Geld oder Essen / bitten um / auf der Straße)

    Lösung


    Übung 4

    Die folgenden Sätze sind Kausalsätze - Sätze, die eine Ursache bezeichnen.

    Du sollst jetzt diese drei Sätze umformen. Benutze dazu die Konjunktionen, die hier gegeben sind und denke an die Position des Verbs.

    Miriam ist von zu Hause abgehauen, weil sie sich mit ihren Eltern nicht mehr verstanden hat.

    Miriam ist von zu Hause abgehauen, denn .

    Wir hatten nur wenige Schlafsäcke. Deshalb mussten wir sie im Winter teilen.

    Weil im Winter .

    Miriam war zuerst recht hoffnungslos, weil sie in der großen Stadt noch fremd war.

    Miriam . Deshalb sie .

    Lösung

     

  6. Linktipps

    Im Internet gibt es zahlreiche Informationen über Straßenkids:

    Interviews findet ihr bei http://www.rga.de/xray/archiv.neu/z1998/020298/story.htm

    Ein Artikel aus einer Schülerzeitung, der sich mit den Gründen für Obdachlosigkeit unter Jugendlichen beschäftigt und einige Straßenkids vorstellt, ist unter http://members.aol.com/Gefactory/kids.htm abzurufen.

    Das Magazin "Zeitdruck", das von Straßenkindern gestaltet wird, könnt ihr bei http://www.inx.de/~karuna/Zeitdruck%20Vorstellung.htm lesen.

    Gibt es auch in eurem Land Straßenkids? Schreibt uns darüber.

     

  7. Lösungen

    zu 4. Übung 2:

    Ausreißer
    Straßenkids
    von zu Hause abhauen
    sich einer Gruppe von Punks anschließen
    sich von Stadt zu Stadt begeben
    Schlafsack
    Geld schnorren
    Schlafplatz
    alles teilen
    der Magen bleibt leer
    betteln
    jemanden aufnehmen
    Träume
    Freiheit
    tun und lassen, was man will
    Abhängigkeit vom Geld
    die Freiheit beschneiden



    zu 4. Übung 3:

    positive Aspekte negative Aspekte

    Gemeinschaft
    teilen
    friedlicher Umgang miteinander
    Freiheit
    tun und lassen, was man will
    und andere?

    Alkohol als ständiger Begleiter
    Kälte
    nicht genügend Schlafsäcke
    leerer Magen
    Hoffnungslosigkeit
    Abhängigkeit vom Geld
    und andere




    zu 5. Übung 1:

    Viele Jugendliche sind mit ihrem Elternhaus nicht zufrieden und laufen deshalb von zu Hause weg. (...) Manche bleiben viele Tage verschwunden. Sie leben auf der Straße und müssen ihr Leben selbst bestreiten. Oft rutschen die Jugendlichen dabei ab. Sie klauen in Geschäften und überfallen Passanten. Bei den Mädchen ist es manchmal sogar so, dass sie sich am nächsten großen Bahnhof oder an anderen Orten als Prostituierte anbieten. Das passiert öfter in großen Städten wie Berlin, Duisburg und Hamburg. Die Jugendlichen nehmen schnell Drogen und kommen so immer tiefer in diesen Kreis aus Drogen, Kriminalität und Prostitution. Ohne fremde Hilfe finden sie meistens nicht wieder heraus. (...) Wenn die Jugendlichen gar nicht nach Hause wollen, kommen sie oft in eine Wohngemeinschaft oder ins Heim.


    zu 5. Übung 2:

    Es sind genau neun Relativsätze:

    in Abschnitt 1: ...Leute, die schon seit längerem auf der Straße lebten
    ...Schlafsäcken, die wir manchmal sogar im Winter teilen mussten
    in Abschnitt 2: ...den anderen, die noch am Schlafplatz warteten
    in Abschnitt 3: ...die Gleichgesinnten, die ich dort traf
    ...asoziales Pack (...), das alles klaut
    ...das alles klaut, was ihm gefällt
    ...alles tun und lassen, was ich wollte
    im letzten Satz: ...Wohngemeinschaft, die von der Jugendhilfe unterstützt wird
    ...(Wohngemeinschaft) , die mir helfen soll



    zu 5. Übung 3:

    Ein Ausreißer ist meistens ein Kind oder ein Jugendlicher, das von zu Hause weggelaufen ist.
    Gleichgesinnte sind Menschen, die ähnliche Ideen und Ansichten haben.
    Ein Bettler ist ein Mensch, der die Leute auf der Straße um Geld oder Essen bittet.


    zu 5. Übung 4:

    Miriam ist von zu Hause abgehauen, denn sie hat sich mit ihren Eltern nicht mehr verstanden.
    Weil wir nur wenige Schlafsäcke hatten, mussten wir sie im Winter teilen.
    Miriam war in der großen Stadt noch fremd. Deshalb war sie zuerst recht hoffnungslos.

     

    Übungen von Christine Dresel und Carola Rogalski,
    im Auftrag von Inter Nationes

    Juli 2000